Pressemitteilung, 23.12.2024 – Demokratie braucht Inklusion

Im zu Ende gehenden Jahr feierte der Verein Miteinander Leben Lernen (MLL) den 40. Geburtstag seiner Gründung. Die umfassende Selbstbestimmung und Teilhabe aller Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen war gemeinsames Ziel. MLL versprach sich davon mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt. Im Saarland und darüber hinaus gelang es dem Verein mit politischer Unterstützung, gesetzliche Regelungen zum gemeinsamen Leben und Lernen zu erwirken. 

MLL fragt: Wo stehen wir 40 Jahre später?

In den vergangenen 40 Jahren konnte MLL in unzähligen inklusiven Projekten Beispiele gelingender Inklusion erfolgreich umsetzen und nachhaltig verstetigen; aber:  trotz der seit 15 Jahren geltenden Verpflichtung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sieht MLL nur unzureichende   gesamtgesellschaftliche Strategien, wie insgesamt inklusive Lebensverhältnisse für alle umfassend und nachhaltig entstehen können. Die aber verlangt die UN-BRK

MLL fragt: Wo sind die Hindernisse?

1. Meinungsmache gegen Inklusion:  

MLL ist sehr besorgt über die zunehmende Diffamierung der UN-BRK-Forderungen nach inklusiven Lebensverhältnissen, als „ideologisch bestimmt“.  

So erst kürzlich der Präsident des Verbandes Saarländischer Unternehmen, Herr Oswald Bubel, (s. SZ. vom 28.11.2024). In diversen Landesparlamenten wird durch rechtspopulistische Vertreter Stimmung gegen Inklusion gemacht.  

Zuletzt sprach sich auch der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, gegen gemeinsames Lernen aus. 

2. Erfolge gemeinsamen Lernens werden missachtet: 

 An vielen Orten im Saarland haben sich Kindergärten und Schulen so entwickelt, dass das gemeinsame Spielen, Lernen und Leben fast als eine Selbstverständlichkeit betrachtet wird. *Die schulischen Ergebnisse gemeinsamen Lernens, nicht nur von Schüler*innen mit Behinderungen, zeigen, wie erfolgreich sich Gemeinsames Lernen auswirkt. 

3. Die tatsächlichen Entwicklungen werden falsch interpretiert: 

Immer noch verlassen auch im Saarland zu viele junge Menschen die Schule ohne anerkannten Schulabschluss und sind ohne Berufsausbildung – ein im Saarland seit vielen Jahrzehnten bestehendes Problem. MLL begrüßt, dass mit dem Startchancenprogramm eine Möglichkeit geschaffen ist, alle Grundschulen mit besonderen Herausforderungen massiv zu unterstützen, um so Schulversagen vorzubeugen. Kritisch sei jedoch zu bewerten, dass die Mittel im Saarland auch an Förderschulen fließen, so die Vorsitzende des MLL, Manuela Spies. Mit dieser Kritik steht MLL nicht alleine, sondern stützt sich auch auf eine Bewertung durch das Wissenschaftszentrum Berlin. 

MLL fragt: Wo bleibt ein Plan?

Bei einer gemeinsamen Konferenz von Arbeitskammer, Deutschem Institut für Menschenrechte, Sozialministerium und MLL Ende November waren alle Ministerien gebeten worden, zu den Forderungen des UN-Fachausschusses in Genf Stellung zu beziehen. In der ausgebuchten Veranstaltung bezogen betroffene Menschen mit Behinderung und weitere Vertreter*innen der saarländischen Zivilgesellschaft eindeutig Position zur unzureichenden Umsetzung der Inklusion im Saarland. MLL kritisiert scharf, dass kein Regierungsmitglied aus den saarländischen Ministerien bereit war, sich den Forderungen der Zivilgesellschaft zu stellen. 

Wer gehofft hatte, die alleinregierende SPD werde einen zukunftsträchtigen Plan auflegen, wurde leider bisher enttäuscht.

MLL fragt deshalb am Jahresende: Bleibt die Schaffung inklusiver Bedingungen, d.h. die Umsetzung eines Gesetzes, weiterhin eine Aufgabe von Graswurzelbewegungen oder einzelnen Vereinen, oder nimmt die saarländische Landesregierung endlich den Auftrag an, den sie selbst 2009 übernommen hat. Es muss endlich Strategie und Zeitplan zu inklusiven Entwicklungen in der Bildung, beim Wohnen und in allen weiteren Bereichen geben.

Miteinander Leben Lernen (MLL) e.V.

MLL Logo Signatur

Eschberger Weg 40
66121 Saarbrücken
Tel: 0681 – 68797-0
Fax: 0681 – 68797-44
E-Mail: info@MLL-Saar.de
Website: www.MLL-Saar.de

Vorsitzende des Vorstands: Manuela Spies

Die Tagung „Expert:innen in eigener Sache“ – ein Lernort für Inklusion

Kerstin Rock/Rosanna Linardi-Jung

htw online Artikel Nov. 2024

Etwa 140 Menschen mit und ohne Behinderung sind am 19. November 2024 auf dem Sportcampus in Saarbrücken zusammengekommen, um sich über die Beteiligung von Expert:innen in eigener Sache auszutauschen. Eingeladen hatten die Fakultät für Sozialwissenschaften der htw saar und der Verein Miteinander Leben Lernen. Expert:innen in eigener Sache sind Menschen, die persönliche Erfahrungen mit Behinderung, Krankheit oder sozialen Problemen gemacht haben. Sie wissen, was es bedeutet, Ausgrenzung und Benachteiligung zu erfahren. Sie wissen aber auch, wie gesellschaftliche Barrieren überwunden werden können und wie gute Unterstützung aussieht. 

Im Mittelpunkt der Tagung standen Ansätze der Selbstvertretung und der Einbeziehung von Expert:innen in eigener Sache. Ihre Arbeit als Peer-Berater:innen in der unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) und als Genesungsbegleitung in der psychiatrische Versorgung war ebenso Thema wie ihr Einsatz für Inklusion als Bildungsfachkraft in Hochschulen und als Prüfer:innen von inklusiven Veranstaltungen. In den Workshops wurde intensiv auch über Fragen der Umsetzung hier im Saarland diskutiert. Im Schlussimpuls richtet sich Dr. Sören Zimmermann vom Deutschen Institut für Menschenrechte direkt an die anwesenden Expert:innen in eigener Sache und forderte sie auf, sich politisch zu engagieren und für ihre Rechte einzutreten. Zugleich erinnert er die Verantwortlichen in Verwaltung, Politik und Fachpraxis an ihre Aufgabe, geregelte Beteiligungsstrukturen aufzubauen und die betroffenen Menschen mit Ressourcen und Fachwissen zu unterstützen. Eine Aufgabe übrigens, die zugleich eine rechtliche Verpflichtung aus der UN-Behindertenrechtkonvention ist. 

Die Besonderheit der Tagung – darin waren sich alle Teilnehmenden einig – lag in der inklusiven Ausrichtung.  Expert:innen in eigener Sache waren ebenso wie Fachkräften aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich sowie Studierende der htw saar als Referent:innen und Tagungsgäste vertreten. Die notwendige Barrierefreiheit wurde in einem Studienprojekt im Sommersemester 2024 und Wintersemester 2024/25 zum Thema gemacht. Unter der Leitung von Prof. Dr. Kerstin Rock und Rosanna Linardi-Jung, LfbA, arbeiteten Studierende, Partner:innen aus der Praxis und von Behinderung betroffene Menschen zusammen, um ausgehend von einer gemeinsamen Erkundung von Barrieren im Alltag die konkreten Bedarfe an Barrierefreiheit bei der Tagung zu erschließen. In Teams wurden viele Ideen entwickelt und umgesetzt, um die Tagung möglichst barrierearm zu machen: die Gestaltung der Einladung als Flyer und Video, die Einrichtung eines reizarmen Ruheraums während der Tagung, der Einsatz einer Dolmetscherin für leichte Sprache und die Unterstützung durch Lotsen und ein Awarenessteam. Gemeinsam mit dem Mitveranstalter wird die Tagung als Pilotprojekt für inklusive, barrierefreie Veranstaltungen seitens der Studierenden und Lehrenden evaluiert. Die Tagung soll so auch einen Beitrag leisten, um Studierende als Multiplikatorinnen für eine inklusive Gesellschaft zu qualifizieren. Denn als zukünftige Fach- und Führungskräfte sind zu maßgeblich dafür verantwortlich, Infrastrukturen und Einrichtungen in eine inklusivere Richtung zu entwickeln.

Startchancenprogramm: Gelder im Saarland zum Teil fehlinvestiert – Miteinander Leben Lernen e.V. zum Start des neuen Schuljahres

Zum neuen Schuljahr wünscht der Verein Miteinander Leben Lernen -MLL- allen Schüler*innen und allen Lehrer*innen viel Kraft und Freude am Lernen.

In diesem Schuljahr läuft das Startchancenprogramm an, das 10 Jahre lang mit Finanzmitteln des Bundes und der Länder Schulen darin unterstützt, die ungleichen Startchancen von Kindern auszugleichen: Kein Wunder, dass alle Bundesländer den größten Teil der Finanzen den Grundschulen – als Schule für alle Kinder – zuweisen. Elf der Bundesländer weisen die Gelder Grund- und weiterführenden Schulen zu, nur fünf der 16 Bundesländer bedenken auch Förderschulen, darunter das Saarland. 

Auch im Saarland sollen sechs Förderschulen Lernen gefördert werden, also die Schulen, deren Schüler*innen wegen schwacher Schulleistungen nicht mehr die allgemeine Schule besuchen. Das ist oberflächliche Symptombekämpfung und keine ordentliche Investition in Strukturverbesserungen dort, wo die ersten Probleme entstehen: an den Grundschulen.  MLL forderte schon im Frühjahr die saarländische Landesregierung auf, die Gelder in allgemeinbildende Schulen und nicht in Förderschulen zu investieren.

Auch Stimmen aus der Bildungsforschung bewerten die Zuweisung der Mittel an Förderschulen als rechtlich und bildungswissenschaftlich problematisch: „Es macht keinen Sinn, die Segregation weiter zu finanzieren, statt die Inklusion zu fördern“, so Michael Wrase vom Wissenschaftszentrum Berlin in einem Interview.

Auch MLL kritisiert, dass die Präsidentin der Kultusminister-Konferenz, die saarländische Kultusministerin Streichert-Clivot, offenbar nicht gewillt war, das Startchancenprogramm mit den Anforderungen der UN-BRK in Einklang zu bringen. Würde das berücksichtigt, dann wären nämlich die Gelder – zusammen mit strukturellen Maßnahmen – dafür genutzt worden, vor allem die Grundschulen mit mehr Ressourcen auszustatten und sie damit zu befähigen, den unterschiedlichen Leistungen von Kindern in den ersten Schuljahren pädagogisch zu entsprechen. 

Strukturelle Maßnahmen könnten darüber hinaus den Chancenausgleich fördern: So zeigen die Hamburger Grundschulen beispielsweise seit einigen Jahren, dass konkrete Maßnahmen wie guter Personalschlüssel, kostenlose Lernförderung am Nachmittag, kostenlose Sprachförderung für alle Kinder mit Bedarf, kostenloses Ganztagsangebot und projektorientierte Unterrichtsformen die Haltekräfte der Grundschulen stärken können und somit wenig Aussonderung zu Förderschulen nötig ist. 

Inklusive Bildung ist eben kein ideologisches Hirngespinst, sondern schlichtweg das Ergebnis besserer Schul- und Bildungspolitik, so Miteinander Leben Lernen e.V., der sich seit 40 Jahren im Saarland für inklusive „Schulen für alle“ einsetzt.

Miteinander Leben Lernen e.V.
Eschberger Weg 40
66121 Saarbrücken
Kontakt: info@mll-saar.de

Für Rückfragen steht Ihnen Traudel Hell aus dem Vorstand des MLL e.V. zur Verfügung.
25.08.24