Foto mit Text Inklusion ist unser Weg

Pressemeldung – Lebendige Diskussionen zur Auftaktveranstaltung im Jubiläumsjahr

24.03.2024

Am Dienstagabend eröffnete Miteinander Leben Lernen (MLL) sein Jubiläumsjahr mit einem Vortrag zum Zusammenhang von Demokratie und Inklusion. Die Hausherrin der VHS Saarbrücken, Dr. Carolin Lehberger, begrüßte die Gäste und wies auf die Bedeutung der VHS als offenen Bildungsort für Menschen aller Schichten, Interessen und Talente hin.

Prof.in Vera Moser begann ihren Vortrag mit einem Überblick über die historische Entwicklung der Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen. Die Separation von Menschen mit Behinderung in eigenen Institutionen habe im 19. Jahrhundert mehr und mehr dazu geführt, dass Menschen mit Behinderungen aus dem Blick der Mehrheitsgesellschaft gerückt seien. Hinzu sei die Ideologie der Brauchbarkeit von Menschen allgemein vertreten worden, nicht erst in der Zeit des Nationalsozialismus. Erst im Nationalsozialismus aber seien die verschiedenen Sonderschultypen errichtet worden einerseits, andererseits 300.000 Menschen mit Behinderung ermordet und 300.000 Zwangssterilisationen vorgenommen worden. Der Begriff Behinderung sei von den Nationalsozialisten geprägt worden und habe zunächst den Begriff „Krüppel“ abgelöst.

Nach dem Krieg seien Behinderungen durch Kriegsverletzungen im Mittelpunkt gestanden. Es habe immerhin mehr als 20 Jahre gedauert, bis die ersten Schulen für Menschen mit kognitiven Einschränkungen entstanden. Die Integrationsbewegung, in den 1970er und 80er Jahren habe die gemeinsame Schule für behinderte und nicht-behinderte Kinder gefordert. Auch Eltern von nicht-behinderten Kindern engagierten sich dafür, weil sie sich auch für ihr Kind Unterricht wünschten, der mehr auf die Verschiedenheit der Kinder in der Gemeinschaft eingehe. Derzeit gebe es einen Backlash für Integration und Inklusion. Es gebe zwar mehr Kinder mit Einschränkungen in allgemeinen Schulen, gleichzeitig sinke aber die Zahl der Schüler*innen an Sonderschulen nicht. Mehr Kindern werde sonderpädagogischer Förderbedarf zugeschrieben. Im internationalen Vergleich steche Deutschland insgesamt hervor durch eine hohe Exklusionsquote und für die Qualität inklusiven Unterrichts gebe es keine verbindlichen Standards.

Prof.in Moser endete mit einer neuen Perspektive: Das Verfassungsgerichtsurteil vom 19. November 2021: „Grundrecht auf schulische Bildung“ besage u.a.: „Das Recht auf schulische Bildung umfasst verschiedene Gewährleistungsdimensionen: Es vermittelt den Kindern und Jugendlichen einen Anspruch auf Einhaltung eines für ihre chancengleiche Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten unverzichtbaren Mindeststandards von Bildungsangeboten“. Nun seien die Fachgesellschaften gefragt, Konzepte für Unterricht, Schulentwicklung und Ausbildung zu entwickeln, die diesen Anspruch von Kindern und Jugendlichen auch einlösen könnten. Das Grundrecht auf Mindeststandards schulischer Bildung müsse nun erziehungswissenschaftlich ausgestaltet werden. So könne inklusive Bildung mit Qualitätsstandards versehen werden in Bezug auf Zugang, Verfügbarkeit, angemessene Vorkehrungen und Unterrichtsqualität, damit jede Schule die gleiche Bildungsqualität vorhalte, denn: Im Durchschnitt der OECD-Länder kläre die soziale Herkunft etwa 14% der schulischen Leistungen auf, ca. 30% aber die jeweilige Schule, die das Kind besucht (OECD 2018, S. 261f.).

Im Interesse der demokratischen Entwicklung unserer Gesellschaft müsse der Fokus wieder auf Bildungssysteme gerichtet werden. Für die Entwicklung von Demokratien sei Bildung zentral, denn Bildungsabschlüsse seien wirksam für politische Partizipation, Einkommen, Gesundheitsstatus, Lebenszufriedenheit (vgl. OECD 2011, 194): „eine schulische Aussonderung bringt die Gefahr der Desintegration im Erwachsenenleben mit sich“.

Inklusion, inklusiver Unterricht müsse im demokratischen Sinne deshalb wieder zum Thema werden. Vielleicht käme so noch einmal das gemeinsame Engagement von Eltern nichtbehinderter und behinderter Kinder zustande. Darüber diskutierten die anwesenden Zuhörer*innen, im Anschluss lange lebendig und waren sich einig, dass der Vortrag eine höhere Verbreitung verdient hätte.